Orion: vom Gilgamesch zum griechischen Helden mit vielen Geschichten (Teil 2)

Dies ist der letzte Beitrag der zweiteiligen Blogartikelserie zum Sternbild Orion. Im ersten Teil habe ich einen Überblick des Sternbildes am Himmel gegeben und machte einen kleinen Exkurs über die historische Entwicklung von Mythen über tausende bzw. zehntausende von Jahren hinweg. Außerdem gab ich einen Überblick über den Epos des Gilgamesch. Es wird vermutet, dass in Mesopotamien in dem Sternbild Orion der sagenhafte König Gilgamesch gesehen wurde.

Im zweiten Teil geht es nun um die griechische Sage des Jägers Orion, die dem Sternbild den heutigen Namen gab. Den Artikel schließe ich mit Informationen für Hobbyastronomen.

Der Jäger Orion in der griechischen Mythologie

Herkunft und Mythologie

Das Erstaunliche am Mythos des Orion ist, dass es keine einheitlich erzählte Geschichte gibt. Es fängt schon damit an, dass das Sternbild des Orion und die Figur des Orion eher nebenbei erwähnt werden, dies aber schon in den ältesten erhaltenen Schriften. Ein Beispiel ist Ilias von Homer (Gesang 18, Vers 485 – 489):

Drauf auch alle Gestirne, die rings den Himmel umleuchten,
Drauf Plejad‘ und Hyad‘, und die große Kraft des Orion,
Auch die Bärin, die sonst der Himmelwagen genannt wird,
Welche sich dort umdreht, und stets den Orion bemerket,
Und allein niemals in Okeanos‘ Bad sich hinabtaucht.

Auch in den Gesängen der Odyssee von Homer kommt das Sternbild Orion vor (Fünfter Gesang, Vers 270 – 177):

Und nun setzt‘ er sich hin ans Ruder, und steuerte künstlich
Über die Flut. Ihm schloß kein Schlummer die wachsamen Augen,
Auf die Pleiaden gerichtet, und auf Bootes, der langsam
Untergeht, und den Bären, den andre den Wagen benennen,
Welcher im Kreise sich dreht, den Blick nach Orion gewendet,
Und allein von allen sich nimmer im Ocean badet.
Denn beim Scheiden befahl ihm die hehre Göttin Kalypso,
Daß er auf seiner Fahrt ihn immer zur Linken behielte.

Die Odyssee erwähnt auch die Gestalt des Jägers Orion. Dort sieht Odysseus ihn in der Unterwelt als größten Jäger (Elfter Gesang, Vers 568 – 575).

Und ich wandte den Blick auf Minos, den göttlichen, Zeus‘ Sohn!
Dieser saß, in der Hand den goldenen Scepter, und teilte
Strafe den Toten und Lohn; sie rechteten rings um den König,
Sitzend und stehend, im weitgeöffneten Hause des Aïs.
Und nach diesem erblickt‘ ich den ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt‘ er die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüsten Gebirgen getötet:
In den Händen die eherne, nie zerbrechliche Keule.

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Orion: vom Gilgamesch zum griechischen Helden mit vielen Geschichten (Teil 1)

 

„Eine Frau nimmt sich einen Tapir zum Geliebten. Dieser verspricht, sie mit in den Osten zu nehmen, wo der Himmel auf die Erde trifft. Die Frau wartet auf eine Gelegenheit, als ihr Ehemann auf einen Baum steigt, um ihm die Beine abzuhacken. Jedoch wird der Bedauernswerte von seiner Mutter geheilt. Mit Hilfe einer Krücke macht er sich daran, die Liebenden zu verfolgen, und holt sie ein. Er hackt dem Tapir den Kopf ab. Die Frau fliegt zusammen mit dem Geist des Tiers in den Himmel, verfolgt von ihrem Ehemann.“
(Entnommen aus Spektrum der Wissenschaft, Ausgabe Dezember 2015, Die Urahnen der großen Mythen, Julien d’Huy, Seite 69)

Wer bei dieser Geschichte die Stirn runzelt, was sie nun mit dem Sternbild Orion und seiner Geschichte zu tun hat, dem sei gesagt, dass auch ich mich erst einmal gewundert habe. Der besagte Artikel aus der Spektrum Ausgabe vom Dezember 2015 passte aber irgendwie in meine Arbeiten zu diesem Blogartikel. Die oben zitierte Sage stellt eine Version der sogenannten Geschichte zur kosmischen Jagd dar. Dem Artikel nach haben sich bestimmte Themen mit den verschiedenen Ausbreitungswellen über die Erde auch entsprechend geteilt und wurden je nach Kultur variiert. D.h. die heutigen Sagen lassen sich auf sogenannte Ur-Mythen vor tausenden von Jahren oder länger zurückführen.

In der Geschichte oben entspricht das Sternbild Orion dem Ehemann, welcher die untreue Frau (= Plejaden) und ihren neuen Liebhaber (= Hyaden, die den Kopf des Tapirs formen) verfolgt. Diese Geschichte wird als sogenannte Version 4 der „Kosmischen Jagd“ im Sprachraum Akawaio bezeichnet. Die Methode der sprachlichen Auswertung der Mythen und die ermittelten zeitlichen Verknüpfungen, wie sie in der Spektrum der Wissenschaft beschrieben werden, sind allerdings nicht unumstritten. So werden die zahlenmäßig geringe und geografisch einseitige Auswahl und die auf Wortbasis durchgerechnete „Evolution“ verschiedener Mythen kritisch hinterfragt. Aber unabhängig von der in der Spektrum der Wissenschaft beschriebenen Entwicklung der Mythen muss man sich in Erinnerung rufen, dass verschiedene Kulturen in allen Teilen der Welt voneinander abweichende Sternbilder konstruierten bzw. verschiedene Geschichten zu ihnen erzählten. In meiner Blogartikelserie beschränke ich mich meist auf die griechische Deutung. Diese ist die Grundlage für den Großteil der offiziell festgelegten Sternbilder der nördlichen Hemisphäre.

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