Heute möchte ich im Rahmen der Artikelserie zu den Sternbildern auf Jungfrau eingehen. Die Jungfrau gehört zu den Tierkreiszeichen – siehe Abgrenzung zwischen Tierkreiszeichen und Sternbildern in meinem Blogartikel “Von Sternbildern, Tierkreiszeichen und Asterism“. Es ist außerdem das zweitgrößte Sternbild am Himmel.
Die nachfolgenden Bilder zeigen die Jungfrau am Sternenhimmel:
Wie zu sehen ist, liegt das Sternbild Jungfrau zum Juli / August recht tief am Horizont. Es wird auch demnächst, zumindest nachtsüber, unter den Horizont verschwinden und nicht mehr für uns sichtbar sein. Der nachfolgende Film zeigt die Jungfrau im Verlaufe des Jahres:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=Qma6-cBf2xk?rel=0&w=853&h=480]
Ich gehe deshalb noch auf dieses Sternbild ein, weil es in einer mythologischen Interpretation zum Sternbild Waage steht, über welches ich schon berichtete.
Herkunft und Mythologie
Erste Erwähnung des Sternbilds
Eine erste Erwähnung des Sternbilds findet sich in Mesopotamien. Nach dem MUL.APIN (Auflistung der heliakischen Aufgänge der Sternbilder) war es unter den Namen MULAB.SIN bzw. šir’u (Ackerfurche) sowie auch unter dšala šubultu Šala (Gott/Göttin die Kornähre) bekannt. Vom Umfang her entsprach es dem heutigen Sternbild Jungfrau, genauer demjenigen Teil davon, der sich südlich der Ekliptik befindet. Um das Jahr 2.700 v. Chr. ging das Sternbild im August mit der Sonne auf. Der August fällt zusammen mit dem Einbringen der Ernte. So wurde das Sternbild wohl in Zusammenhang mit der Göttin Šala gebracht.
Der nachfolgende Film verdeutlich den Lauf des Sternbilds am Himmel zur besagten Epoche um 7 Uhr Ortszeit:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=MhQp__lbbis?rel=0&w=853&h=480]
Im folgenden gehe ich auf die klassische griechische und späteren römische Mythologie. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass in anderen Epochen und in anderen Weltgegenden die Sterne durchaus anders gesehen wurden und mit ihnen natürlich auch andere Geschichten und Interpretationen verbunden sind.
Persephone
Einer Sage nach soll das Sternbild Persephone darstellen. Sie war die Tochter der Getreide- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter und von deren Bruder Zeus. Für den Fall, dass sich jemand für den göttlichen Stammbaum interessiert: Demeter war die Tochter von Kronos (ebenfalls Vater von Zeus) und von Rhea.
Eines Tages wurde Persephone von ihrem Onkel Hades, dem Gott der Unterwelt, entführt. Er nahm sie zur Braut, was sie widerwillig zuließ. Demeter suchte nach ihrer Tochter. In ihrer Verzweiflung verfluchte sie die Felder Siziliens, so dass diese keine Frucht mehr trugen. Persephone befand sich in Sizilien, als Hades sie entführte. Schließlich fragte Demeter den großen Bären, ob er etwas gesehen hatte. Wir erinnern uns, der große Bär ist ebenfalls ein Sternbild. Da dieses nie unter geht, d.h. es ist zirkumpolar, hatte Persephone die Hoffnung, dass der Große Bär ihr weiterhelfen konnte. Da die Entführung aber tagsüber stattfand, konnte der Große Bär keine Auskunft geben.
Diese kam schließlich von der Sonne. Voller Zorn wandte sich Demeter an Zeus, damit er Hades befiehlt, Persephone gehen zu lassen. Wie das Pech so will, war dies leider nicht mehr so einfach möglich. Persephone hatte schon von den Granatapfelkernen in der Unterwelt gegessen. Wer dies getan hatte, konnte niemals mehr auf Dauer in das Land der Lebenden zurückkehren.
Schließlich einigte man sich darauf, dass Persephone die Hälfte (andere Quellen sprechen von einem Drittel) des Jahres bei ihrem Gemahl in der Unterwelt und den Rest des Jahres oben auf der Erde bei ihrer Mutter verbringen sollte. Dies soll die wechselnden Jahreszeiten symbolisieren.
Erigone
In einer weiteren Version stellt das Sternbild Erigone dar. Der Gott Dionysos lehrte Ikarios, den Vater der Erigone, die Kunst des Weinanbaus. Ikarios wollte seinen Wein unter die Menschen bringen und gab ihn einigen Bauern zum Kosten. Diese hatten nie zuvor Wein getrunken und töteten Ikarios, da sie dachten, dass er sie vergiften wollte. Erigone machte sich schließlich mit dem Hund Maira auf die Suche nach dem Vater.
Sein Hund fand die Stelle, an der er vergraben wurde, und aus Trauer hängte sich Erigone an einem Baum auf. Sie wurde an den Himmel versetzt und wurde zum Sternbild der Jungfrau. Der Hund starb ebenfalls aus Trauer und wurde an den Himmel versetzt, wo heute das Sternbild Jagdhunde zu sehen ist. Ikarios fand als das Sternbild Bärenhüter (Bootes) Eingang in das Himmelsreich.
Dike, Astraea, Justitia
Nach einer anderen Quelle verkörpert das Sternbild Dike, die Göttin der Gerechtigkeit. Dike ist die Tochter des Zeus und der Themis. Sie lebte zu einer Zeit auf Erden, in der es noch keinen Krieg und Gewalt gab und die Erde dem Garten Eden glich. Es war das sogenannte goldende Zeitalter und es herrschte noch der Vater von Zeus, Kronos, im Olymp. Die Äcker trugen von selbst Früchte und die Menschen wurden niemals alt.
Dike wandelte unter den Menschen und gab ihnen Weisheit und Gerechtigkeit. Nun stürzte aber Zeus seinen Vater Kronos und übernahm die Herrschaft über den Olymp. Mit ihm begann das silberne Zeitalter. Zeus verkürzte den bisher dauernden Frühling und führte damit die Jahreszeiten ein. In diesem Zeitalter hörten die Menschen auf, die Götter zu ehren. Die Menschen wurden streitsüchtig. Dike versuchte die Menschen wieder auf den rechten Pfad zu bringen und ermahnte sie streng. Danach zog sie sich in die Berge zurück. Doch die Menschen hörten nicht auf sie. So mündete das silberne Zeitalter in das bronzene und eiserne Zeitalter, in der sich die Menscheit der Gewalt, dem Krieg und dem Diebstahl hingaben. Dike verließ die Erde. Sie konnte die Sünden der Menschen nicht mehr ertragen. Sie flog in den Himmel und nahm ihren Platz neben dem Sternbild der Waage ein.
Als Göttin der Gerechtigkeit wird statt Dike auch Astraea genannt. Im Wikipedia Artikel zu Astraea wird eine Erläuterung dazu gegeben, wie aus „Dike“ „Astraea“ wurde.
Hier noch ein Auszug aus dem Werke Hesiodos „Werke und Tage (ΕΡΓΑ ΚΑΙ ΗΜΕΡΑΙ)“, 256-273. Wie dieser Text zeigt, steht wird die Gerechtigkeit Dikes mittels Strafe und Rache angemahnt:
Aber es wacht auch Dike, des Zeus jungfräuliche Tochter,
Ruhmreich und bei den Göttern geehrt, des Olympos Bewohnern.
Und wenn immer sie einer mit tückischem Hohne gekränkt hat, –
Flugs sitzt neben dem Vater sie dann, dem Kroniden, und klagt ihm
Über den frevelnden Sinn des Geschlechts, dass büße das Volk ihr
Seiner Beherrscher Vergehn, die voll unseliger Ränke
Beugen der ehrlichen Gang der Gesetze durch gleißende Worte.
Hütet euch denn, o Herrscher, und lenkt aufs rechte die Rede,
Aber auf immer vergesst, ihr Käuflichen, frecher Verdrehung!
Unheil schmiedet sich selbst, wer Unheil schmiedet dem andern,
Und ein verderblicher Rat ist verderblicher dem, der ihn aussann.
Wachsam stets durchschauet des Zeus allsehendes Auge,
Wenn’s ihm beliebt, das Getrieb’ auch hier; nicht bleibt ihm verborgen,
Wie um die Pflege des Rechts im Innern der Stadt es bestellt ist.
Darum, so wie es steht, muss selbst ich entsagen dem Rechte,
Ich mit dem Sohn; denn schlimm in dem Volk steht’s für den Gerechten,
Wenn stets günstiger fällt für den Ungerechten das Urteil.
Doch ich hoffe, der Donnerer Zeus vollendet das nimmer.
Für die römische Mythologie ist Justitia die Personifikation der Gerechtigkeit. In der alten römischen Mythologie stand sie für ausgleichende Gerechtigkeit. Seit der augusteischen Zeit (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.) wird Justitia im Kontext der griechischen Mythologie von Dike gesehen, also für auf Strafe ausgelegte Gerechtigkeit.
Das Bild der Justitia beinhaltet in der Antike eine Frau mit einer Waage – jedem wird das Seine zugemessen, niemand soll benachteiligt werden – und einem Füllhorn – der zu verteilende Reichtum – und einer Waage in der Hand. Ihr Bild ändert sich im Mittelalter einer Frau mit den Attributen
- Augenbinde: Rechtsprechung ohne Ansehen der Person,
- Waage: die gerechte Abwägung,
- Schwert: das Recht wird mit entsprechender Härte durchgesetzt.
Somit haben wir jetzt auch den Kreis geschlossen zum Sternbild der Waage. Die Waage ist von jeher mit der Göttin der Gerechtigkeit verbunden. Und die Sternbilder Jungfrau und Waage stehen am Himmel nebeneinander.
Weitere Literatur:
Ian Ridpath, Die großen Sternbilder, 88 Konstellationen und ihre Geschichten, S. 165 ff.
Das Sternbild
Die Jungfrau ist (nach der Wasserschlange) das zweitgrößte Sternbild am Himmel. Sie liegt zwischen dem Löwen (Leo) und der Waage (Libra). Die hellsten Sterne sollen eine liegende Person darstellen.
Highlights für die Hobby- und Amateurastronomen im Sternbild.
Doppelsterne:
- Porrima ist ein Doppelstern mit etwa gleich großen und gleich hellen Sternen. Beide umkreisen einander in ca. 170 Jahren. Das außergewöhnliche bei beiden Komponenten ist, dass sich der Winkeksabstand im Lauf einer Umkreisung recht stark ändert. So erreichte er 1920 den größten Abstand (6,2 Bogensekunden). Beide Sterne konnten mit kleinen Teleskopen getrennt werden. 2005 wurde der geringste Winkelabstand mit 0,3 Bogensekunden erreicht. Hier sind größere Teleskope notwendig, ob beide Sterne zu sehen.
Bedeckungsveränderliche:
- Spica ist ein bedeckungsveränderlicher Stern vom Typ der Beta-Cephei-Sterne. Seine Helligkeitsveränderung ist allerdings visuell kaum feststellbar. Sie schwank mit einer Periode von 4,0142 Tagen zwischen +0,92 mag und +0,98 mag. Spica ist übrigens der hellste Stern im Sternbild Jungfrau und stellt die Kornähre in deren Hand. In Mesopotamien war Spica unter dšala šubultu (Gott/Göttin Schala, die Kornähre), später auch Göttliche Jungfrau der Kornähre, bekannt.
- R Virginis ist veränderlicher Stern vom Typ der Mira. Seine Helligkeitsperiode beträgt 145,5 Tagen.
Der Himmelsbereich, der dem Sternbild Jungfrau zugeordnet ist, umfasst eine große Menge an Messier- und weiteren Deep Sky Objekten:
- M49: elliptische Galaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M58: Spiralgalaxie
- M59: elliptische Galaxie
- M60: elliptische Galaxie
- M61: Spiralgalaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M84: elliptische Galaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M86: elliptische Galaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M87: elliptische Galaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M87: elliptische Galaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- M89: elliptische Galaxie
- M90: Spiralgalaxie
- M104: Spiralgalaxie
- NGC4216: Spiralgalaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- NGC4388: Spiralgalaxie
- NGC4429: Spiralgalaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- NGC4526: Spiralgalaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- NGC4654: Spiralgalaxie, gehört zum Virgo Galaxienhaufen
- NGC5634: Kugelsternhaufen
- 3C273: Es ist der scheinbar hellsten Quasars am Sternenhimmel. Seine Entfernung mit 2,4 Milliarden Lichtjahren ergibt.
Im Sternbild Jungfrau befindet sich der riesige Virgo-Galaxienhaufen, der vermutlich etwa 2.000 Galaxien enthält. Das Zentrum dieses Haufens ist von unserer Milchstraße ca. 54 Millionen Lichtjahre entfernt. In der Nähe des Zemtrums befindet sich die sehr aktive Galaxie M89. Der folgende Film ist eine Animation vom Program Starry Night 7 Pro Plus. Exemplarisch sind die Namen einigee Mitglieder dieses Galaxienhaufens eingeblendet. M87 ist sehr schön als Zentrum in dieser Animation zu sehen. Unsere Galaxie ist mit „Milky Way – Barred Spiral SBc Galaxie“ auf der linken Seite zu Beginn der Animation zu sehen.
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=0L1IejRSANk?rel=0&w=640&h=480]
Da von interessierter Seite auch um Informationen zu den Sternbildern Andromeda und deren Familienmitgliedern gebeten wurde, hier noch ein kleiner Hinweis: ich bitte um Geduld. Die Blogartikel sind für den August geplant 🙂
Ich “musste” nur das Sternbild Jungfrau veröffentlichen, da dieses ja bald für unsere Breiten nicht mehr sichtbar sein wird.
Neben den astronomischen Realitäten beeindrucken mich ungemein die Sagen der antiken Völker. Welch eine Phantasie! Die Verse von Hesiodos scheinen mir doch recht modern?
Eckehart